Remember Everything: All die Tage ohne dich

Erscheinungstermin: 01. November 2024

Als E-Book* (auch über Kindle Unlimited ausleihbar) und Taschenbuch* bei Amazon und Tolino Media erhältlich.

Umfang: 406 / 388 Taschenbuchseiten

Amazon ISBN-13 : 979-8-3395-4536-1

Tolino Media ISBN-13: 978-3-7592-5017-9

Würdest du für deine große Liebe einen Teil deines Lebens opfern?

Rachels Zukunft scheint vorbestimmt: Studium, Heirat, Familie. Alles ist sorgfältig geplant, speziell von ihrem Verlobten und ihrer Mutter. Doch als die Studentin Jake kennenlernt, gerät ihre Welt aus den Fugen. Der Mann mit der dunklen Vergangenheit raubt ihr schon nach kurzer Zeit den Atem – für ihn will sie alles riskieren.

Der Mechaniker Jake ist von Trauer und Chaos gezeichnet. Als er einen Neubeginn wagt, trifft er auf Rachel, die ihn sofort fasziniert. Aber kann er es wirklich zulassen, dass sie alles für ihn aufgibt? Und ist er überhaupt gut genug für die Frau, die sein Herz im Sturm erobert hat?

Fast sieht es so aus, als könnte der Traum eines gemeinsamen Lebens tatsächlich wahr werden. Doch eine schicksalhafte Nacht droht alles zu zerstören und stellt ihre Liebe auf eine harte Probe.

Die mitreißende Liebesgeschichte von Rachel und Jake ist perfekt für dich, wenn du diese Tropes gern liest:

Broken Hero with a Heart of Gold
Tragic Past
Found Family
Forbidden Love
Love Triangle

Mit Playlist im Buch!

Leseprobe

4. April 2005

Jake

Mit jedem Schritt habe ich das Gefühl, die Wolken über der Kleinstadt vor mir werden dunkler und bedrohlicher. Ringsherum scheint die Sonne. Als wollte mir jemand mitteilen, dass ich besser ein anderes Ziel wählen sollte. Doch nach fast sechshundertfünfzig Meilen bin ich am Ende meiner Kräfte.
Ich möchte Grandma in meine Arme schließen, dabei ihren vertrauten Geruch nach Lavendelseife einsaugen, mich in die bestickten Kissen fallen lassen und den zerschlissenen Samt ihrer Couch fühlen. Dann würde ich die Zinnsoldaten im Regal und die alten Fotos – auch die von Samuel – auf dem Kaminsims betrachten.
Wenn ich Glück habe, kocht Grandma mir Shepherd’s Pie. So wie früher in den Sommerferien. Und wenn ich noch mehr Glück habe, macht sie frische Limonade.
Also gehe ich weiter, obwohl meine Fußsohlen vom langen Marsch brennen. Nach wenigen Minuten erreiche ich das hölzerne Ortseingangsschild und bleibe davor stehen.

Willkommen in
Bakerville, Alabama
30.999 Einwohner

Wenn ich jetzt weitergehe, knacken sie die 31.000-Marke. Aber wer weiß, ob die Zahl aktuell ist.
Tief durchatmend setze ich meinen Weg fort. Die Luft riecht nach Regen. Ein dicker Tropfen landet auf meiner Nasenspitze. Ich lege den Kopf in den Nacken und sehe in den Himmel. Er ist beinahe schwarz. Und dann öffnet er seine Schleusen. Als würde er weinen, weil ich hier bin.
Ich ziehe die Kapuze meines Hoodies über und marschiere weiter. Noch bevor ich die ersten Häuser erreiche, klebt mir die nasse Kleidung auf der Haut. In den vier Tagen, in denen ich unterwegs war, hat es kein einziges Mal geregnet. Unfassbar, dass es ausgerechnet kurz vor meinem Ziel wie aus Eimern schüttet.
Aus dem Augenwinkel bemerke ich eine Frau, die hektisch die Wäsche von der Leine nimmt, während ihre Kinder auf der Wiese mit einem Football Würfe üben und sich von dem sintflutartigen Schauer nicht stören lassen. Ein älterer Mann mit einem Regenschirm kommt mir mit einem Pudel entgegen und nickt mir flüchtig zu. Obwohl ich ihn nicht kenne, erwidere ich die Geste. Typisch Kleinstadt eben.
Von Weitem erkenne ich die schemenhaften Umrisse der Bakerville University. Als Kind habe ich immer davon geträumt, dort zu studieren. Ich mache einen großen Bogen und nehme den Weg durch Nebenstraßen, während der Regen noch einmal an Stärke zunimmt.
An beinahe jeder Ecke suchen mich Erinnerungen heim – überall, wo ich mit Samuel war. Da wir die Ferien immer bei Grandma und Grandpa verbracht haben, gibt es kaum einen Ort in Bakerville, den wir nicht unsicher gemacht haben.
Ich sehe uns, wie wir mit den Fahrrädern um die Wette fahren, auf dem Baseballfeld spielen und uns vor den einheimischen Kindern verstecken, wenn wir ihnen Fallen gestellt haben. Das Main Street Grill & Diner ist rappelvoll, wie ein Blick durch die breite Fensterfront verrät. Dort gibt es das beste Eis in der Umgebung.
Als mir ein Streifenwagen entgegenkommt, senke ich automatisch den Kopf. Auch wenn ich mir nichts habe zuschulden kommen lassen, habe ich mit den Cops in Wilmington schlechte Erfahrungen gemacht und möchte mir keinen erneuten Ärger einhandeln. Schließlich habe ich aus meinen Fehlern gelernt.
Wenige Minuten später komme ich am Wasserturm vorbei. Dort sind Samuel und ich häufig hochgeklettert, um die Stadt von oben zu betrachten. Besonders nachts, wenn überall die Lichter brennen. Einmal haben wir sogar eine Sternschnuppe gesehen und ich habe mir gewünscht, dass wir nach Bakerville zu unseren Großeltern ziehen würden, doch leider ist er nie in Erfüllung gegangen. Aber vielleicht jetzt – nur eben allein. Ohne Samuel.
Mein Herz zieht sich zusammen. Obwohl er seit eineinhalb Jahren tot ist, habe ich das Gefühl, kaum atmen zu können. Ich balle die Hände zu Fäusten, bohre die Fingernägel in meine Haut und beschleunige den Schritt.
Wann wird dieser Schmerz endlich vergehen?
Während ich versuche, die Erinnerungsfetzen aus meinem Kopf zu vertreiben, prasselt der Regen erbarmungslos auf mich nieder. Mittlerweile hat sich die Jeans mit Wasser vollgesogen und hängt schwer an meinen Beinen. Vorhin, in der Sonne, habe ich geschwitzt; jetzt stellen sich die Härchen auf meinen Armen vor Kälte auf.
Die Aussicht auf eine warme Mahlzeit und trockene Kleidung treibt mich weiter an. Ich schiebe die Daumen unter die Riemen des Rucksacks, während ich die Schritte zähle. Meine Sneakers machen schmatzende Geräusche, weil die Sohle undicht ist und sich Wasser darin gesammelt hat.
Nach einer gefühlten Ewigkeit komme ich bei Grandmas Grundstück an. Der einst weiße Holzzaun hat seine Farbe verloren. Viele Bretter sind abgefallen und verrotten im verwilderten Gras.
Ich habe zu lange gewartet, um herzukommen. Sie hat zwar nie angedeutet, dass sie Hilfe braucht, aber nun fühle ich mich mies, weil ich sie im Stich gelassen habe. Als ich die Einfahrt erreiche, knirscht der Kies unter meinen Schuhen.
Ich lasse den Blick umherschweifen und trotz des Regenschleiers kann ich erkennen, wie verwahrlost das Anwesen ist: Die Scheune verfällt, der Garten ist zugewuchert und das Baumhaus in der Eiche lässt sich nur erahnen. Die Dachrinnen scheinen verstopft zu sein, weil das Wasser überläuft.
Das wird eine lange Liste, was ausgebessert werden muss. Als Grandpa noch gelebt hat, hat er sich um die Reparaturen gekümmert, doch das ist bereits zehn Jahre her. Zumindest ist die Architektur des zweigeschossigen Herrenhauses im Kolonialstil beeindruckend. Die ehemals weiße Fassade hebt sich kaum von den grauen Fensterläden und Dachschindeln ab.
Zügig nehme ich die fünf Stufen hinauf zur überdachten Veranda und genieße es für einen Moment, im Trockenen zu stehen. Rechts neben mir klimpert das Windspiel. Die Zweisitzerschaukel hängt an der Decke vor dem Ventilator, auf der ich mit Samuel immer gesessen und Grandmas selbst gebackenen Kuchen genascht habe. Die Erinnerung an diese Zeit vertreibt die Kälte in meinem Herzen.
Ich betätige die Klingel. Ein tiefes Ding-Dong ertönt, während ich die Kapuze abnehme, aus den Schuhen schlüpfe und meinen triefenden Rucksack abstelle.
»Ich komme!« Grandmas Stimme ist aus dem Haus zu hören, dann ihre schweren Schritte. Ein Schatten erscheint in der Glasscheibe, der sich nähert. Als sich die Tür öffnet, halte ich den Atem an. Grandmas graue Augen betrachten mich voller Wärme. »Jake.« Ihre Stimme ist nur ein Hauch. Sie umfasst den Türgriff und sieht mich mit offenem Mund an, als könne sie nicht glauben, dass ich wirklich vor ihr stehe. »Was machst du hier?«
»Hey, Granny.«
Meine Antwort bringt sie zum Lachen. Sie zieht mich in ihre Arme und ihr Lavendelgeruch steigt mir in die Nase. Doch plötzlich schiebt sie mich von sich. »Meine Güte, du bist völlig durchnässt. Komm rein, sonst holst du dir eine Erkältung. Ich koche uns einen Tee, damit du dich aufwärmen kannst.«
»Danke.« Mit meinem Rucksack in der Hand eile ich durch den Flur zum Gästebadezimmer im hinteren Bereich, um möglichst wenig feuchte Spuren zu hinterlassen. Alles, was nass ist, werfe ich in die Badewanne mit den Löwenfüßen, damit ich es nachher zum Trocknen aufhängen kann.
»Mist«, murmle ich, weil selbst die Boxershorts an meiner Haut kleben.
Mit einem Handtuch aus dem Regal rubble ich mich ab, wickle es mir anschließend um die Hüften und nehme barfuß die Treppe ins Obergeschoss. Ich öffne mit angehaltenem Atem die Tür zu meinem alten Kinderzimmer. Obwohl ich eineinhalb Jahre nicht mehr hier war, liegt kein Staubkrümel auf der Kommode, auf der ein Foto von Samuel und mir steht. Zum Glück befinden sich darin noch Unterwäsche, eine Jogginghose und ein Shirt.
Die Dielen unter dem Perserteppich knarren bei meinen Schritten, als ich auf dem Weg nach unten bin. Aufgrund der schwachen Beleuchtung durch den Kronleuchter wirken die Landschaftsgemälde immer noch gespenstisch und der Stuck an der Decke grau.
Ich höre Grandma, wie sie ein Lied aus dem Radio summt, und folge ihrem Klang. Sie steht in der Küche und ist genauso flink wie früher. Ein Topf köchelt auf dem Herd, sie knetet einen Teig und kaum hat sie sich die Hände an der Schürze abgewischt, füllt sie Tee in ein Sieb.
Ihr dabei zuzusehen, überwältigt mich mit Erinnerungen. Sie war diejenige, die meinem Bruder und mir das Kochen beigebracht hat, weil sie wusste, dass wir zu Hause mehr oder weniger auf uns allein gestellt waren. Obwohl wir uns unbeholfen angestellt haben, hatte sie eine Engelsgeduld.
Mit den Fingerspitzen streiche ich über die Einkerbungen am Türrahmen. Grandma hat uns dort jeden Sommer gemessen und die Jahreszahl mit einem Messer ins Holz eingeritzt. Es sieht aus, als wäre der letzte Eintrag erst gestern gewesen.
Doch in all den Jahren hat die Zeit Spuren im Haus hinterlassen. Die weiße Farbe der Küchenmöbel ist gelblich geworden und blättert ab. In der Mitte steht die Kochinsel. Dort habe ich häufig mit Samuel auf den beiden Barhockern gesessen und Grandma bei den Vorbereitungen geholfen. Die Fensterbänke sind mit Küchenkräutern zugestellt, die ihren intensiven Duft verbreiten.
Grandmas langes blondes Haar ist am Hinterkopf zusammengebunden und so gedreht, dass es wie eines ihrer Nadelkissen aussieht. Einzelne Strähnen haben sich daraus gelöst und umrahmen ihr Gesicht, das so viel Ähnlichkeit mit dem von Mom hat. Ich kann nur wenige graue Stellen erkennen.
Als der Wasserkessel pfeift, löse ich mich aus der Starre, trete ein und drehe den Gasherd aus. Ich gieße das kochende Wasser in die vorbereiteten Tassen und bemerke aus dem Augenwinkel, wie Grandma mich ansieht.
»Es ist so schön, dass du mich besuchst«, sagt sie mit einem fröhlichen Klang.
»Ich hätte viel eher herkommen und dich vorher anrufen sollen.«
Sie legt eine Hand auf meinen Arm und lächelt mich liebevoll an. »Hauptsache, du bist jetzt da, mein Junge.«
Wir nehmen mit den dampfenden Teetassen im Wohnzimmer Platz. Während Grandma sich auf ihren Lieblingssessel neben dem Strickkorb setzt, mache ich es mir auf der Couch mit dem Blumenmuster gemütlich.
Auch hier hat sich kaum etwas verändert. Die schweren Samtvorhänge, die Vitrine mit dem Porzellan, das nur zu besonderen Anlässen verwendet wird, und die unzähligen Grünpflanzen, die jeden freien Platz einnehmen. Die Kirschholzschränke sind stellenweise vom Sonnenlicht ausgeblichen und die Tapete mit den Rosenblüten hat etwas an Farbe verloren.
Mein Blick bleibt an dem Foto von Samuel und mir hängen, das auf dem Kaminsims neben der Engelsfigur steht. Es wurde kurz vor Grandpas Tod bei unserem Lieblingsplatz in den Wäldern aufgenommen.
»Wie schön es wäre, wenn beide hier bei uns sein könnten.« Grandmas Traurigkeit ist beinahe greifbar, während sie in ihre Tasse pustet.
»Ich vermisse sie.«
»Ja«, haucht sie mit einem kaum hörbaren Seufzen. Eine Weile schweigen wir, hängen unseren Gedanken und Erinnerungen nach und trinken Tee.
Dann strafft sie die Schultern und lächelt sanft. »Aber nun sag schon: Was hat dich dazu gebracht, deine alte Granny zu besuchen?«
Auf meinem Weg hierher habe ich lange überlegt, ob ich ihr die Wahrheit sagen soll. Auch wenn ich weiß, dass ich sie damit verletze, möchte ich sie nicht belügen. Schließlich war sie diejenige, die mir beigebracht hat, wie wichtig Ehrlichkeit ist.
Der Regen prasselt gegen die Fensterscheiben, während Grandma geduldig auf eine Antwort wartet.
»Ich habe den Job in der Werkstatt verloren und somit auch meine Wohnung, weil ich sie mir nicht mehr leisten konnte.«
»Aber wie ist das passiert? Dein Boss war doch immer zufrieden mit deiner Arbeit.«
»Daran hat es auch nicht gelegen. Sondern an Mom.«
»Oh! Was hat sie getan?«
»Sie hat …« Ich drehe die Tasse in meiner Hand hin und her, um Zeit zu schinden. »In der Werkstatt was geklaut, als sie mich besucht hat.«
»Und was?«
»Geld aus der Kasse. Mein Boss denkt, dass ich es war. Ich wollte sie nicht verpfeifen. Offenbar haben sie alles von Samuels Todesfallentschädigung verprasst.«
Grandma atmet geräuschvoll aus. »Wie konnte sie dir das antun? Wegen ihr hast du alles verloren …« Ihr Blick wird weicher. »Wenn ich nur wüsste, wie ich meiner Tochter helfen kann. Sie wird sich eines Tages noch eine Überdosis spritzen. Und dein Dad auch. Dabei war sie so ein liebes Mädchen, bevor sie ihn kennengelernt hat.« Tränen steigen ihr in die Augen. »Danke, dass du es mir gesagt hast.«
»Es ist mir nicht leichtgefallen, weil ich weiß, wie sehr du dich jetzt sorgst.«
»Das tue ich auch so, mein Junge. Wenn ich nicht wüsste, dass sie ein Dach über dem Kopf haben, damit sie nicht auf der Straße leben müssen, würde ich nachts kein Auge zubekommen.« Sie stellt ihre leere Tasse auf den Couchtisch. »Ich werde sie morgen anrufen und nachfragen, wie es ihnen geht.«
»Meinst du, sie kommen allein klar?«
»Jake … Du hast dein eigenes Leben und bist nicht für deine Eltern verantwortlich. Was Sam und du für sie getan habt, ist mehr als genug. Mach dir keine Vorwürfe.«
»Hast recht.«
»Was willst du nun tun?«
Ich zucke mit den Schultern. »Keine Ahnung. Nach der Kündigung habe ich meine Sachen gepackt und wollte nur noch raus aus Wilmington.«
»Wenn du möchtest, kannst du so lange bleiben, wie du willst. Ich habe genug Platz und freue mich über deine Gesellschaft. Wir haben uns doch viel zu erzählen.«
»Danke. Ich werde mich auch im Haus nützlich machen. Es gibt einiges zu tun.«
»Sehr gern.« Sie erhebt sich, um sich neben mich zu setzen und mir in die Wange zu kneifen. Das bringt mich zum Schmunzeln. »Und was sagt deine Freundin, dass du einfach auf und davon bist?«
»Wir haben uns vor einigen Monaten getrennt.« Ich stelle meine Tasse ebenfalls ab und lehne mich entspannt zurück.
»Also hast du sie nicht geliebt?«
Ich verdrehe die Augen. Das ist eigentlich kein Thema, über das ich mit Grandma reden will. Doch ich kann ihre Neugierde verstehen und möchte nicht undankbar sein, da sie mich bei sich aufnimmt. Allerdings verschweige ich ihr vorerst, in welche Schwierigkeiten meine Ex mich gebracht hat. »Nein.«
»Wie hat meine Mom immer zu mir gesagt: Zu jedem Topf gibt es einen passenden Deckel. Auch du wirst noch fündig werden.« Freudig reibt sie sich die Hände.
»Jetzt habe ich erst mal andere Sorgen, als eine Freundin zu finden.«
»Auch wenn man die Liebe nicht sucht, fällt sie einem schnell mal vor die Füße.« Grandma zwinkert mir zu, sodass ihre Falten um die Augen herum noch tiefer wirken. Der Glanz darin verdeutlicht ihre Freude.
»Ich werde mich bemühen, dass ich schnell einen neuen Job finde.« Gekonnt weiche ich aus, bevor ihre Ausführungen ausarten. »Schließlich möchte ich dir nicht zu lange eine Last sein.«
»Du doch nicht.« Sie verwuschelt meine Haare, die mittlerweile trocken sind und mir in die Stirn fallen. »Die müssen dringend geschnitten werden.«
»Mir gefällt es so.«
Eine Weile reden wir über Belangloses. Ich genieße die Zeit, mit jemandem vertraut sprechen zu können. Doch dann knurrt mein Magen hörbar und Grandma verschwindet in die Küche, mit dem Versprechen, mir ein ordentliches Abendessen zu zaubern.
In der Zwischenzeit kümmere ich mich um meine nasse Kleidung und beziehe das Bett in meinem alten Zimmer. Auch hier scheint sich nichts verändert zu haben. Die Poster der South Alabama Jaguars hängen unverändert an den Wänden, nur die Farbe ist ausgeblichen. Im Regal stehen die Kinderbücher, aus denen Grandma uns immer eine Gutenachtgeschichte vorgelesen hat, und daneben liegt ein alter Baseball samt Schläger und Handschuh.
Kurz nach Samuels Beerdigung habe ich hier zwei Nächte verbracht und mich der Trauer hingegeben, während Mom und Dad zugedröhnt waren. Ein eisiger Schauer läuft über meinen Rücken. Ich schüttle mich, um die Erinnerungen zu vertreiben, und verlasse fluchtartig den Raum.
Ob es eine gute Idee war, ausgerechnet hierher zu kommen? Dort, wo ich an jeder Ecke an meinen Verlust erinnert werde. Aber ich brauche einen Neuanfang. Wo könnte mir der besser gelingen als in Bakerville? Mit dieser Kleinstadt verbinde ich so viel Freude, wie ich sie sonst nicht im Leben verspürt habe. Außerdem lebt hier Grandma, die zu lange allein ist und meine Hilfe braucht.
In Gedanken versunken komme ich in der Küche an. Der Duft von Shepherd’s Pie liegt in der Luft und auf dem Küchentisch steht eine Glaskanne mit Limonade. Ich hatte also großes Glück.
»Oh, Granny. Du bist die Beste.« Ich reibe über meinen knurrenden Bauch. Während der Reise habe ich kaum etwas gegessen, weil ich fast kein Geld mehr habe.
Sie lacht herzlich. »Du weißt doch, Enkelkinder sind zum Verwöhnen da. Und du siehst ziemlich mitgenommen aus. Nach dieser Stärkung wird es dir gleich besser gehen.«
Ich drücke ihr einen Kuss auf die Wange, woraufhin sie mich anstrahlt. »Danke. Kann ich dir helfen?«
»Deckst du bitte den Tisch? Das Essen ist gleich fertig.«
»Wird erledigt.«
Eine halbe Stunde später lehne ich mich mit vollem Magen im Stuhl zurück und lächle selig. So gut habe ich schon lange nicht mehr gegessen. Sofort spüre ich, wie meine Energie zurückkehrt. Gemeinsam erledigen wir den Abwasch und setzen uns anschließend auf die Verandaschaukel.
Ich stoße uns mit den Füßen an, sodass wir hin und her schwingen. Nur ein paar Kerzen spenden uns Licht. Es ist angenehm mild, obwohl es vorhin noch in Strömen geregnet hat.
Während ich meinen Blick schweifen lasse, nehme ich die Erkennungsmarken von Samuel zwischen die Finger und streiche gedankenverloren über die Einprägungen. Seit wir seine persönlichen Gegenstände zurückbekommen haben, trage ich sie an der Kette am Hals. Der bekannte Schmerz schießt in mir hoch und raubt mir allen Sauerstoff, den ich noch in der Lunge habe, aber ich dränge ihn zurück und atme tief ein.
Grandmas Schluchzen erfüllt die Stille. Sie vergräbt das Gesicht in den Händen. »Warum nur? Er … er hat es nicht verdient, auf diese Weise zu sterben.«
Ich schiebe die beiden Metallmarken unter mein Shirt. Normalerweise spenden sie mir Trost, doch gerade reißen sie alte Wunden auf. »Nein, das hat er nicht. Aber Samuel wusste, welches Risiko er bei den Einsätzen eingegangen ist. Und …« Meine Stimme bricht, als ich an die beiden Offiziere denke, die vor der Wohnungstür gestanden und uns ihr Beileid ausgesprochen haben. Ich brauche einen Moment, bis ich weitersprechen kann. »Sie haben uns versichert, dass er nicht gelitten hat.«
Grandma sieht auf und wischt sich über die feuchten Wangen. »Dafür leiden wir. Wir haben seine zerfetzten Überreste begraben.« Ihre Stimme ist voller Schmerz.
Ich lege einen Arm um ihre Schultern. »Samuel hätte nicht gewollt, dass wir ewig trauern.«
Sie nickt schwach und sieht mich mit glänzenden Augen an. »Wenigstens bist du mir noch geblieben, mein Junge.«

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