Rescue: Der Weg des L(i)ebens

Erscheinungstermin: 08.12.2019

Als E-Book (auch über Kindle Unlimited ausleihbar) und Taschenbuch bei Amazon erhältlich.

Umfang: 342 Taschenbuchseiten

ISBN-13 : 978-1701741935

Hat das Schicksal einen Plan? Kann es Zufall sein, wenn sich zwei Menschen finden, die eine tiefgreifende Vergangenheit verbindet? Kann aus Trauer Liebe wachsen?

Fast vier Jahre lang schwebt Caitlin auf Wolke sieben. Matt ist die Liebe ihres Lebens! Doch nach einer folgenschweren Nacht ist nichts mehr, wie es war. Von Schuldgefühlen geplagt, zieht es die 24-Jährige in ihre abgelegene Ferienhütte. Sie ist felsenfest davon überzeugt, einen endgültigen Schlussstrich zu ziehen, denn sie hat alles verloren.

Der 29-jährige Feuerwehrmann Chester kann nach einem Schicksalsschlag seinen Beruf nicht mehr ausüben und beschließt, der Großstadt für eine Weile den Rücken zu kehren, um seinen Verlust zu verarbeiten. Zwischen den grünen Hügeln und schroffen Felsklüften der nordirischen Einöde trifft er auf die traurigsten Augen, die er je gesehen hat. Wird er es schaffen, Caitlin neuen Lebensmut zu geben?

Dieses Buch enthält dramatische Szenen mit Happy-End-Garantie. Die Liebesgeschichte von Caitlin und Chester ist ein moderner, zeitgenössischer Liebesroman – mit romantischen Momenten, vielen Tränen und ganz viel Liebe in Irland.

Leseprobe

Chester

Seit einer Stunde bin ich mit meiner Angelausrüstung unterwegs, auf dem Weg zu dem kleinen See, den ich vor einigen Tagen entdeckt habe. Je weiter ich an der schroffen Felsenkluft mit den grünen Grashauben entlangwandere, desto steiler werden die Abhänge. Einige sind bereits vom tosenden Meer unterspült worden und sehen aus, als könnten sie jederzeit nachgeben.
Tatsächlich kommt es hin und wieder vor, dass Touristen das rutschige Gras oder die Windböen unterschätzen und hinabstürzen.
Ich seufze. Menschen sind einfach leichtsinnig. Wie oft ich das als Feuerwehrmann schon erleben musste … Aber Stopp! Daran will ich jetzt wirklich nicht denken. Deswegen bin ich schließlich hier: zum Vergessen.
Die Sonne hat die Nebelschwaden vertrieben, die heute Morgen die Landschaft verhüllten. Übrig sind nur unzählige Tautropfen, die durch die Sonnenstrahlen wie Diamanten schimmern. Bunte Farbtupfer der blühenden Blumen und Kräuter vermischen sich mit den zahlreichen Grüntönen der Landschaft.
Irland – wie ich es liebe! Mein Heimatland ist weit mehr als zauberhafte Sagen, malerische Natur und liebenswerte Menschen. Ich sauge die Ruhe und Weite der Natur auf, lausche dem Rauschen des Meeres.
Für einen Moment fühlt es sich an, als würde ich ein anderes Leben führen. Ein Leben ohne Schmerzen, ohne die unendliche Last der Trauer auf meinen Schultern. Ich atme tief ein und setze meinen Weg fort.
Einige Schafe, die zwischen dem Heidekraut auf den saftigen Flächen verweilen, betrachten mich wiederkäuend, manche begrüßen mich mit einem »Mäh«.
Der Wind trägt das Kreischen der Möwen heran, die auf den Felsen im Meer hocken und nach Futter Ausschau halten. Mich umweht eine Meeresbrise, die ich förmlich schmecken kann. Weit und breit ist kein Mensch zu sehen. Wenn die Touristen in ein paar Wochen über das Land hereinbrechen, wird sich das schlagartig ändern, vermute ich.
Mein Blick schweift über die traumhafte Aussicht vor mir, über das schier endlose Grün, aus dem immer wieder Steine emporragen.
Plötzlich bleibe ich stehen und stutze.
Langsam hebe ich meine Hand, um meine Augen von der blendenden Sonne abzuschirmen. Etwa hundert Meter von mir entfernt sitzt eine blonde Frau mit einem Buch in der Hand auf einem Stein.
Völlig in die Zeilen versunken, befindet sie sich viel zu nahe an der Klippe. Ihr schwarzes Sommerkleid flattert im Wind wild hin und her. Beim Anblick der nackten Arme und Beine bekomme ich eine Gänsehaut. Selbst ich trage Jeans und Kapuzenpullover, weil es mir sonst zu kalt wäre. Langsam senke ich meine Hand und atme tief durch.
Da ich die Frau nicht erschrecken möchte, mache ich einen großen Bogen um sie und laufe weiter zum See, um dort mein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Vielleicht habe ich heute Glück und fange einen Hecht. Bei dem Gedanken läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Der letzte Fang ist schon etwas her, allerdings habe ich da einen Hecht mit stolzen 45 Zentimetern herausgezogen.
Wieder einmal stelle ich fest, was für einen Glücksgriff ich mit dem Cottage und der Umgebung getan habe. Wenn so viele Kriterien gleichzeitig erfüllt werden müssen, ist es gar nicht so einfach, etwas Passendes zu finden. Am Anfang war die Ruhe ungewohnt. In der Großstadt ist immer was los und hier ist man plötzlich ganz allein mit sich und der Natur.
Hier ist mir zum ersten Mal richtig bewusst geworden, was ich verloren habe. Das war ein schreckliches Gefühl, so einsam habe ich mich noch nie in meinem Leben gefühlt. Mittlerweile bin ich über diesen Punkt hinweg. Die Trauer, die kontinuierlich wie eine unsichtbare Hand über mir weilt, reißt mich nicht mehr ganz so arg in diesen tiefen Strudel.
Aber manchmal überkommt es mich einfach.
Energisch schüttle ich den Kopf, da ich merke, wie die Erinnerungen in mir aufsteigen und die pochenden Schmerzen in meiner Brust erneut zum Vorschein bringen. Zum Glück erscheint in diesem Moment der See vor mir und ich kann mich auf das Präparieren der Angel konzentrieren. Entspannt im kühlen Gras liegend beobachte ich einen Mäusebussard, der über dem Wasser kreist.
Meine Gedanken schweifen zu Mum und Dad. Ich habe mich einige Tage nicht mehr bei ihnen gemeldet. Vielleicht sollte ich sie heute Abend anrufen. Mum gefällt es ganz und gar nicht, dass ich hier so abgeschieden lebe. Sie macht sich ständig Sorgen. Allerdings ist sie auch froh, dass ich nicht mehr in der Feuerwache arbeite. Auch wenn ihre Bedenken nicht immer unbegründet waren, war ich immer mit Leib und Seele dabei.
Mailin war da etwas unbekümmerter. Sie wusste, dass es mein Traum war Menschen zu retten und hat meinen Beruf ohne Gejammer akzeptiert. Immerhin waren wir bereits ein Paar, als meine Berufswahl feststand und sie wusste, dass ich mich als Jugendlicher schon dauernd auf der Feuerwache herumgetrieben habe. Andere Kameraden mussten ihre Frauen ständig über jede Kleinigkeit informieren, das hat sie nie von mir verlangt.
Der Schwimmer der Angel liegt weiterhin ruhig auf der Wasseroberfläche. Langsam frischt der Wind auf und die Sonne wird von einigen Wolken verdeckt. Bald wird es regnen und ich, wie es aussieht, ohne Beute heimkehren. Immer wieder vernehme ich kleinere und größere Fische, die im Wasser springen und plätschern, aber plötzlich hören sich die Geräusche anders an – wie ein größeres Tier.
Ich stütze mich auf die Ellenbogen und blicke mich um. Mit offenem Mund starre ich über die Grasbüschel hinweg. Die blonde Frau von der Klippe hat sich komplett ausgezogen und geht in den See hinein. Vorhin habe ich meine Hände am Ufer gewaschen und fand das Wasser recht kalt, aber sie scheint das nicht im Geringsten zu stören.
Die Sonne lässt ihre Haut schimmern und sie wie einen Engel aussehen. Wie einen sehr mageren Engel allerdings. Ihre Rippen und die Hüftknochen treten deutlich hervor. Trotzdem kann ich meine Augen nicht von ihr abwenden. Eine faszinierende und gleichzeitig unendlich traurige Aura umgibt sie.
Wie in Zeitlupe tapst sie weiter in das kühle Nass und lässt ihre Fingerspitzen sanft über die Wasseroberfläche gleiten, schickt kleine Wellen aus, die ineinanderfließen. Mich hat sie zum Glück noch nicht bemerkt. Sie ist gerade bis zum Bauchnabel im Wasser versunken, als sie langsam in die Hocke geht und sich nach hinten ausstreckt. Die Arme und Beine ausgebreitet, treibt sie auf der Oberfläche und blickt in den Himmel. Die langen Haare schweben um ihren Körper herum.
Über mein eigenes Verhalten irritiert, schüttle ich den Kopf und wende meinen Blick ab. Ich bin doch kein Spanner! Sicher muss sie damit rechnen, wenn sie nackt baden geht, dass jemand sie sieht, aber trotzdem habe ich das Gefühl, eindeutig eine Grenze überschritten zu haben. Wieder plätschert es und ich schaue flüchtig zu ihr. Sie schwimmt auf dem Rücken liegend in meine Richtung.
Es ist wohl besser, wenn ich gehe.
So leise wie möglich packe ich meine Sachen ein und breche auf. An dem kleinen Waldrand neben dem See angelangt, drehe ich mich noch einmal um.
Ich sehe, wie sie mit gesenktem Blick aus dem Wasser trottet. Die Traurigkeit, die sie umgibt, kann ich bis hierher spüren. Und das, obwohl sie so jung aussieht. Sie ist sicher nicht älter als Mitte zwanzig.
Ich muss schlucken.
Mailin kommt mir in den Sinn. Sie war die erste und einzige Frau, die ich nackt gesehen habe – bis jetzt. Bei dem Gedanken an sie werde ich sofort traurig. Wann wird dieser Schmerz endlich aufhören, mich zu quälen?
Wie versteinert stehe ich hinter der dicken Eiche, unfähig mich zu rühren, und kann den Blick nicht abwenden. In meiner Brust pocht es unerklärbar heftig. Ohne sich abzutrocknen, zieht sie ihr schwarzes Kleid über und wringt anschließend ihre Haare aus.
Ihre Bewegungen sind kraftlos. Ob es sie, genauso wie mich, hier in die Einsamkeit gezogen hat, um zu vergessen? Nachdem sie in ihre Schuhe geschlüpft ist, nimmt sie das Buch und ihre Unterwäsche in die Hand und verschwindet zwischen den Bäumen auf der anderen Seite.
Ich atme tief durch und versuche mich wieder unter Kontrolle zu bekommen. Warum hat mich ihr Erscheinen so mitgenommen? Das kenne ich überhaupt nicht von mir! Ich straffe die Schultern und presse die Zähne aufeinander.
»Reiß dich zusammen!«, ermahne ich mich selbst und reibe mit der Hand übers Gesicht.
Morgen werde ich in die Stadt fahren und ein paar Lebensmittel besorgen, meine Vorräte gehen langsam zur Neige. Und Fisch gibt es heute auch keinen.
Mit einem tiefen Seufzer schultere ich meine Tasche und marschiere durch das Wäldchen in Richtung Cottage. Für die fast unberührte Natur habe ich keinen Blick mehr, zu sehr kreisen meine Gedanken um die Frau. Heute Abend werde ich ein bisschen slacken, um dieses wirre Gedankenkarussell zum Stillstand zu bringen.
Owen war es, der eines Tages mit einer Slackline zur Arbeit kam und sie kurzerhand zwischen den Bäumen neben der Feuerwache spannte. Seither wurde sie von den Kameraden ständig belagert und auch ich fand schnell Interesse an dieser Sportart. Das konzentrierte Balancieren benötigt viel Fokussierung und Ruhe, sodass für einen Moment alles andere aus dem Kopf verschwindet. Ein sehr angenehmer Effekt in einem Job, bei dem die grauenvollen Bilder oft lange im Gedächtnis bleiben.
Und so habe ich das Slacken auch nach meinem Zusammenbruch beibehalten und zu einem festen Bestandteil meines Lebens gemacht. Es ist unvorstellbar, wie sehr es mir in den letzten schweren Monaten geholfen hat.
Als ich völlig in Gedanken vertieft aufsehe, bleibe ich abrupt stehen. Vor mir steht die junge Frau, die ich am See beobachtet habe. Wir sind beide so überrascht, hier auf jemanden zu treffen, dass wir uns wortlos gegenüberstehen. Ihre grauen Augen legen sich in meine, werden riesengroß, lassen mich erschaudern. Dunkle Schatten umrahmen sie.
Noch nie habe ich solche leeren und unglücklichen Augen gesehen. Ich versinke darin, vergesse das Atmen. Kleine Wassertropfen rinnen von ihren Haaren über ihr hübsches Gesicht, lassen sie wie Tränen erscheinen. Mein Herz setzt bei diesem Anblick kurz aus, um gleich danach wie wild in mir zu hämmern. Ein sonderbares Flattern breitet sich in meinem Magen aus.
Sie drückt ihre Sachen wie ein Schutzschild fest an die Brust, senkt den Kopf und eilt in einem wahnsinnigen Tempo davon. Verwirrt starre ich ihr nach, wie sie zwischen den Bäumen verschwindet und in die entgegengesetzte Richtung läuft. Sie hatte keinen Rucksack oder Ähnliches dabei. Also scheint sie nicht nur eine Wanderin zu sein. Ob sie hier wohnt?
Da die Unbekannte schon lange nicht mehr zu sehen ist, gebe ich mir einen Ruck und setze meinen Weg fort. Nachdem auch ich den Wald hinter mir gelassen habe, streife ich über die grünen Flächen mit den vielen Schafherden. Wanderwege gibt es hier nicht, also marschiere ich einfach querfeldein.
Immer wieder sehe ich ihr leidvolles Gesicht vor Augen. Die Frage, was sie wohl so quält, lässt mich nicht los. Irgendetwas hat sie in mir bewegt, das ich nicht in Worte fassen kann. Ich versuche mir einen Reim darauf zu machen, was sie hier macht, und komme zu dem Schluss, dass sie möglicherweise in einer ähnlichen Lage ist wie ich. Vielleicht trauert auch sie.
Nun ärgere ich mich immer mehr darüber, sie nicht angesprochen zu haben. Nicht einmal ein einfaches »Hey« habe ich über die Lippen gebracht, mein Kopf war plötzlich wie leergefegt. Das ist mir bisher noch nie passiert! Als Feuerwehrmann ist es schließlich immer mein Job gewesen, einen kühlen Kopf zu bewahren und stets Herr der Lage zu sein. Aber anscheinend gilt das nicht für die Begegnung mit rätselhaften Frauen.
Unfassbar!
Den ganzen Rückweg über flattern die Gedanken nur so in meinem Kopf herum. Immer wieder stelle ich mir vor, wie die Situation verlaufen wäre, wenn ich mich getraut hätte, den hübschen gefallenen Engel anzusprechen. Plötzlich stehe ich vor meiner Steinhütte mit der roten Tür. Ich muss so in Gedanken gewesen sein, dass ich die Strecke ganz automatisch zurückgelegt habe.
Ich atme tief durch und stecke den Schlüssel ins Schloss. Mein Häuschen ist genau so, wie ich es mir gewünscht habe. Ruhig und abgeschieden, aber nicht ganz am Arsch der Welt. Ich musste zwar ein bisschen danach suchen, doch bis heute habe ich meine Wahl nicht bereut.
Die Wände habe ich letzten Monat weiß angestrichen und das typische Reetdach gibt ihr ein einheimisches Flair. Das großzügige Grundstück wird von einer moosbewachsenen Natursteinmauer umrandet. Mein Wagen steht hinter dem Haus neben dem Schuppen. Die wenigen Bäume, die im Hintergrund emporragen, eignen sich super für meine Slackline und mein nächster Nachbar ist so weit entfernt, dass ich ihn von hier aus kaum sehen kann.